Voller Freude und mit unheimlichem Stolz möchten wir hiermit lauthals verkünden, dass wir unserem Freund und dem wandelnden Rockmusiklexikon, the one and only Alois C. Braun die Ehre und das zweifelhafte Vergnügen aufgedrückt haben, seine Gedanken in die Altvorderenzeit schweifen zu lassen und unregelmäßig regelmäßig Storys aus seinem Musik(er)leben dem Volke kund zu tun.
Here we go: Volume 1!
Festivals around 50 years ago
Meine Leidenschaft für Livemusik begann tatsächlich im Bayerischen Wald. Dort, genau gesagt am Waldcasino in Rötz-Alletsried, fand 1976 ein international besetztes Festival statt, das mehrere tausend Besucher anzog. Kein Wunder, bei diesem Line-up: Larry Coryell, Golden Earring, Climax Blues Band, Curved Air, Bullfrog, Chicken Shack, Back Street Crawler und Cry Freedom. Dem Rockfan der ersten Stunde läuft ob dieser Namen wohl noch immer das Wasser im Mund, bzw. der Klang im Ohr zusammen.
Zuvor hatten Konzerte mit deutschen Bands in Regensburg mein Interesse an Rock aus Deutschland nachhaltig geweckt. Can, Kin Ping Meh und Karthago hatten in der Domstadt gerockt. Und der Deutschrock führte mich dann bis 1980 jedes Jahr an Pfingsten nach Rötz. Bei diesen Festivals waren im Laufe der Jahre jede Menge Highlights geboten: The Stripes (mit Leadsängerin Nena), die Scorpions zu sechst (Roth und beide Schenker an den Gitarren), Epitaph, Fargo (mit dem späteren Scorps-Gitarristen Matthias Jabs), das Release Music Orchestra, Octopus, Gate, die Ramblers, Franz K., Blister Chap, Charly Maucher Band, Faithful Breath und viele andere, darunter auch die bis heute erstklassig rockenden Lokalmatadore Mass!
Mir geht es in diesen Zeilen aber nicht um Namedropping, sondern um das Drumherum bei diesen Festivals. Das meiste davon, ach was: ALLES wäre heute unvorstellbar! Das ging los beim Parken. Unbefestigte Felder standen fast in Spuknähe rund um das Festival zur Verfügung. Das Zelt baute man dann auf der Wiese vor der Bühne auf, natürlich mit dem Ein-/Ausgang in Blickrichtung zur Bühne. Apropos Zelt: Da war nix mit waterproof, Überzelt oder Isomatte. Eine Plane über ein Querstangerl gelegt und mit den Heringen glatt gezogen, das war’s. Ich hatte nicht mal einen Schlafsack. Eine Decke als Unterlage und eine als Zudecke mussten reichen. Wie sich die Nächte anfühlten? ES WAR ARSCHKALT – und der Boden war steinhart, felsig und krumm! Aber damals hat mich das nicht interessiert, denn es war einfach geil, Teil der Festivals zu sein. Purer Rock ‚n‘ Roll halt! Ich weiß nicht mehr in welchem Jahr das war, aber einmal hat es beim Aufbau unseres Zeltes sogar geschneit. Gott sei Dank blieb der Schnee nicht liegen.
Die Musik rockte täglich bis tief in die Nacht und die Standardtoilette im Gebäude des Waldcasinos reichte irgendwie für die vielen Besucher aus. O.k., der das Festivalgelände umgebende Wald bekam auch ganz schön was ab. Aber wer damals den Begriff „Dixi(e)“ hörte, der dachte an die Musik der Hot Dogs oder an Chris Barber. Plastikklos waren zu dieser Zeit unbekannt. Es gab aber eine Security, damals noch Ordner genannt. Ohne Sicherheits-Lehrgänge und Zertifikate. Und es funktionierte trotzdem alles. Das waren andere Zeiten und die Leute waren einfach ganz anders drauf. Einfache Zäune um das Gelände herum reichten zur Abgrenzung. Klar, der ein oder andere stieg ohne Ticket darüber, aber: Typen, die auf Kosten anderer leben gab es schon immer und wird es immer geben. So what!
Ach ja, Stichwort Ticket: Das hat man zu erschwinglichen Preisen gekauft und wurde dann beim Eintritt abgerissen. Bezahlt hat man in DM. Das war zu dieser Zeit echtes Geld und noch kein Drogeriemarkt. Es gab keine E-Tickets und Apps, die stündlich nach einem Update schreien, das nach der Installation nicht einmal funktioniert. Unvorstellbar in der Gegenwart. Man brauchte keine Registrierung bei irgendwelchen Firmen, hatte keinen Frust weil man beim Bestellprozess ständig rausflog, es gab keine horrenden Zusatzkosten und man hatte auch keine Probleme, weil beim Einlass der falsche Name auf dem personalisierten Ticket stand. Man ging einfach rein und hatte Spaß.
Die Tontechniker mussten mit einem wenig professionell zusammengenagelten FOH-Platz vorlieb nehmen. Aber zumindest war das Mischpult nicht ebenerdig, sondern erhöht und mit bestem Blick über die Besucher. Betrunkene konnte nicht einfach mal so zum Mischer hinaufklettern, er war sicher. Jeden Tag wurde vor Beginn der Konzerte die Anlage neu eingemessen, d.h. man hörte über gefühlte Stunden ein ohrenbetäubendes Rauschen über dem Gelände.
Soweit ich mich erinnern kann gab es keinen einzigen Stand, an dem Merch-Artikel angeboten wurden. Hätte auch wenig Sinn gemacht, die Bands konzentrierten sich damals auf die Musik und nicht auf die Laufbahn als musizierender Kaufmann, sprich: es gab nix von ihnen zu kaufen. Heute undenkbar. Auch die Fans kamen wegen der Musik und nicht, um sich als allererstes mit Merch und Bier einzudecken. Oder um während des Konzertes den anderen Besuchern auf den Sack zu gehen, weil sie beim exzessiven Bierholen und noch exzessiveren Aufsuchen der WCs ständig im Blickfeld rumhampern. Natürlich gab es auch damals Alk-Leichen. Die schliefen dann im Wald oder bei ohrenbetäubendem Lärm im Zelt mit halb heraushängenden Füßen.
Ach ja, es gab natürlich auch eine Art Running-Order, nach der die Bands auftreten sollten. Oft aber kam eine Band gar nicht oder erst viel zu spät beim Festival an. Das wirbelte den Zeitplan bis zur Unkenntlichkeit durcheinander. Aber man nahm es hin. Was hätte man auch machen sollen?
Ja, so war das damals, als – zumindest für mich – alles anfing. Mit diesem Rückblick will ich aber keinesfalls sagen, dass zu der Zeit alles besser war. Oh nein! Aber anders war’s auf jeden Fall. Ganz anders sogar: Denn die Musik stand im Mittelpunkt und die Leute hörten zu, auch wenn sie die Songs und die Bands nicht kannten.
Alois C. Braun
Über den Autor:
Alois C. Braun ist Musikfreak durch und durch. Er ist Gitarrist und Songwriter, Livemusiker (u.a. mit Kupfer S., Perotti Caleris Braun) und hatte viele Jahre lang Jobs in der Musikindustrie (Pressesprecher für eine Pro-Audio-Firma, Projektleiter für ein Bandförderprogramm, (Musik-)Redakteur, freier Musikjournalist). Schon immer deckte sein Musikgeschmack eine enorme Bandbreite ab. Er sagt dazu: „Musik muss mich berühren, der Stil ist zweitrangig. Aber natürlich steht bei mir Rock in all seinen Facetten ganz klar im Focus. Der Ohrenöffner für mich war ‚Deep Purple in Rock’, das Album veränderte meiner Hörgewohnheiten auf ewig.“ Im Laufe der Jahre besuchte Braun weltweit mehr als 2000 Konzerte und nennt 5000 Vinyls und 15.000 CDs sein eigen. Über seine lange und oft hautnahe Erfahrung mit Musik schreibt er für Rock-Music-News.